Dankgottesdienst aus Anlass des 75. Geburtstags von Walter Kardinal Kasper in der Krypta der St. Peters Basilika

5. März 2008

I.

Die Lesung aus dem Epheserbrief (1,3-12) beginnt mit Worten, die mir heute beim 75. Geburtstag besonders aus dem Herzen gesprochen sind: „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus.“ Ja, was soll und was kann man anderes sagen, wenn einem 75 Jahre, ein dreiviertel Jahrhundert also, geschenkt worden sind, 75 Jahre ohne schlimme Krankheit, ohne Unfall, 75 Jahre, in denen mir so unglaublich viel an Gutem geschenkt worden ist: Aufgewachsen in einer guten christlichen Familie mit guten Eltern und lieben Geschwistern, Gelegenheit zum Studium der Königin der Wissenschaften, der Theologie, mehr als dreißig Jahre Zeit an der Universität zu forschen und zu lehren, mehr als fünfzig Jahre Priester, zehn Jahre als Bischof einer großen und lebendigen Diözese, neun Jahre in Rom mit einer faszinierenden Aufgabe, der Förderung der Einheit aller Christen, betraut, dabei viele Schüler, Mitarbeiter, Kollegen, Freunde, die den Lebensweg begleitet haben, sehr viele Reisen in alle Welt, wo ich vielen Menschen und Kulturen, allerdings auch vielem Elend begegnen durfte. Es war und ist ein reiches Leben.

Das alles ist, weiß Gott, nicht selbstverständlich, das alles ist ein Geschenk, das alles ist Gnade. Deshalb habe ich Sie eingeladen hier am Petrusgrab mit mir diese Eucharistie, diesen Dankgottesdienst zu feiern. Danke, dass Sie gekommen sind. Ich kann nur sagen: „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus.“

Aber die Lesung aus dem Epheserbrief geht nochmals tiefer. „Er hat uns erwählt vor Erschaffung der Welt“. Dieses Wort hat mich in den letzten Tagen, da ich etwas über mein Leben nachgedacht habe, immer wieder beschäftigt und besonders angesprochen. Unsere Wurzeln gehen weit zurück, zurück bis in die Ewigkeit. Jeder von uns ist ein ewiger Gedanke Gottes, ausgedacht mir großer Liebe. Niemand ist nur ein Zufallsprodukt, eine Laune des Schicksals, ein Rädchen oder Schräubchen im Getriebe der Welt. Unser Leben hängt nicht an einem schwachen seidenen Faden. Nein, Gott hat uns, wie es beim Propheten heißt „mit Seilen und Stricken der Liebe an sich gezogen. Noch mehr: Er hat uns, damit er uns niemals vergisst, in seine Hand geschrieben.

Jeder ist persönlich ausgedacht, erwählt, jeder hat seine Berufung, seinen Auftrag, seinen Platz und seine Zielbestimmung. Darum gibt es einen roten Faden im Leben, einen roten Faden, den wir nicht selbst gewoben haben, den wir voll und endgültig erst erkennen werden, wenn wir in der Ewigkeit angekommen sein werden. Dann wird es sein wie bei einer Stickerei. Wenn man sie von unten ansieht, ist es ein Gewirr von Fäden, dreht man sie herum, dann erst wird das Muster, nach dem alles und nach dem auch wir gestickt sind, erkennbar. Das Muster wird sichtbar, wohl aber auch unsere persönlichen Webfehler.

Wir müssen ja auch hören, was weiter im Text der Lesung gesagt wird: Wir sind nicht dazu bestimmt, um Kardinal oder weiß Gott sonst was zu werden, sondern „damit wir heilig und untadelig leben vor Gott.“ Darauf kommt es an und daraufhin muss man sich gerade an einem Tag wie dem heutigen befragen. Wenn man das tut, dann sieht das Resultat etwas bescheidener aus. Dann merkt man, dass alles, was man getan hat und was man nach mehr als sieben Jahrzehnten ist, Fragment und Stückwerk geblieben ist. Dann geht einem die Bedeutung des Wortes aus der Lesung auf, das von der ‚Vergebung der Sünden nach dem Reichtum seiner Gnade’ spricht. Auf Vergebung und Gnade sind wir am Ende alle angewiesen. Auch dieser Dankgottesdienst hat darum zurecht mit der Bitte und mit dem Zuspruch der Vergebung begonnnen. Wahrlich ein großer Trost!

II.

Das Evangelium (Joh 15,9-17) führt uns noch einmal tiefer in das Geheimnis des Lebens ein. Es konkretisiert das Geheimnis der Liebe, aus dem wir kommen und für das wir bestimmt sind, durch das Wort von der Freundschaft. „Ich nenne euch nicht mehr Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Vielmehr habe ich euch Freunde genannt.“ Dieser Satz wird jedes Mal bei der Priesterweihe gesungen. Aber er gilt schon für die Taufe und Firmung. Denn nicht nur das Priestersein, das Christsein ganz allgemein meint zuletzt und zutiefst Freundschaft mit Jesus. Diese Christozentrik ist mir schon sehr früh im Bund Neudeutschland wichtig geworden, in dessen Hirschbergprogramm das Wort von der Lebensgestaltung in Christus steht.

Gewiss, manches was man tagaus tagein so tun muss, und manchmal ist es nicht wenig, ist knechtliche Arbeit. Man fühlt sich eingespannt in eine Mühle, in einen unbarmherzigen Terminkalender, den einem andere machen, in Anfragen und Aufgaben, die einfach über einen kommen und denen man sich nicht entziehen kann. Unerträglich könnte dies werden, besonders wenn man etwas älter wird und gerne etwas mehr Ruhe möchte; erträglich aber, wenn man sich bewusst macht: Es ist ein Freund, der ruft und für den du etwas tun sollst. Er wartet auf dich, ihm sollst in den Menschen, die dich wollen und brauchen, begegnen.

So ist mir die Johannesminne aus dem Kloster Heiligkreuztal in unserer Diözese wichtig geworden: Johannes, der sich an der Brust Jesu ausruht. In den letzten Wochen habe ich Kirchenvätertexte studiert, die noch tiefer gehen, indem sie sagen: Wir dürfen unseren Lebensdurst an der mit der Lanze durchbohrten, offenen Seitenwunde Jesu stillen. Denn Blut und Wasser, die da ausfließen, sind nach altkirchlicher Exegese die Sakramente der Taufe und der Eucharistie. Und das als Priester jeden Tag bei der Feier der Eucharistie!
Aus der Freundschaft mit Jesus wird die Freundschaft untereinander. Entsprechend war „Freunde“ einer der Titel, den sich die frühen Christen gaben. Er findet sich schon am Schluss des dritten Johannesbriefs. Christen sollen Freunde sein und in Christus sind sie es auch.

Das scheint mir wichtig, wenn es, wie in der Ökumene, um die Einheit aller Christen geht. Denn Freundschaft stiften ist etwas vom Wichtigsten bei diesem Geschäft. Ich finde es jedenfalls tröstlich, dass der Titel unseres Päpstlichen Rates nicht heißt „Rat für die Einheit der Christen“ oder „Einheitsrat“, wie man verkürzt oft sagt. Unser Rat heißt „Rat für die Förderung der Einheit“. Das ist wesentlich realistischer. Die Einheit der Christen können wir ohnehin nicht „machen“; jedenfalls haben wir sie in den neun Jahren, da ich in diesem Rat tätig bin, nicht erreicht, und wir werden sie nach menschlicher Voraussicht auch in weiteren neun Jahren, wenn ein anderer an meiner Stelle steht, nicht erreicht haben.

Was uns aber mit Gottes Hilfe gelingt und uns teilweise auch gelungen ist, ist ein Netz der Freundschaft zu knüpfen mit vielen Männern und Frauen, Pastoren, Theologen, Bischöfen der anderen Kirchen und Kirchengemeinschaften. So dürfen wir uns schon heute Freunde nennen und daran arbeiten, das Netz dieser Freundschaft immer mehr zu festigen, damit es bei den immer wiederkehrenden Stresssituationen nicht wieder zerreißt.
An dieser Stelle möchte ich allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ganz herzlich danken, dass sie bei diesem wichtigen Werk, das uns vom Herrn selbst aufgetragen ist, mithelfen, dass sie dies im Geist freundschaftlicher Zusammenarbeit tun und mich dabei gelegentlich ertragen haben.

III.

Zum Blick in die Zukunft bleibt mit 75 Jahren nicht mehr viel übrig. Das einzige Sichere ist, dass man das meiste seiner Lebenszeit hinter sich hat. Der Rest, der bleibt, müssen wir in die Hände eines anderen legen und hoffen, dass er es gnädig mit uns meine.

Das Evangelium sagt uns auch dazu ein wunderschönes und trostreiches Wort: „Bleibt in meiner Liebe, … damit meine Freude in euch ist und damit eure Freude vollkommen wird“. „Bleiben“ ist ein Grundwort im vierten Evangelium. Es ist ein tröstliches Wort, denn es versichert uns, dass wir in dieser unbeständigen, rasch sich verändernden Welt eine Bleibe und ein Zuhause haben, die uns niemand nehmen kann, eine Bleibe in Gottes Liebe, in der wir schon jetzt in dieser Welt aufgehoben sind, und danach eine ewige Bleibe, in der unsere Freude vollkommen sein wird. Als Christen wissen wir ja, dass unser Leben am Ende sich nicht verliert, dass es nicht versickert in ein Wasserbächlein in der Wüste des Nichts, dass es vielmehr einmünden wird in den unendlichen Ozean vollkommener Freude.

Wann und wie das sein wird, wissen wir nicht, und das ist gut so. In diesen Tagen wünscht mir jedermann, dass dies nicht so schnell passieren möge, denn die Ewigkeit ist ja lang. So möchte ich bei dieser Eucharistiefeier alles Bisherige in den Kelch legen und – wie es nachher heißt – darum bitten, dass Gott mein und euer Opfer zu seinem Lob und zum Heil der ganzen Welt annehmen möge, dass er es reinigen und verwandeln möge, dass er ihm Fruchtbarkeit schenken möge für viele andere und für seine ganze heilige Kirche. Amen.