Ökumene – Leuchtzeichen des Reiches Gottes

Sechste Ökumenische Begegnung im Kloster Neresheim (21. - 23. Oktober 2011)


I.

Mein Thema lautet: „Ökumene – Leuchtzeichen des Reiches Gottes.“ Einheit ist ja ein, wenn nicht das Leuchtzeichen des Reiches Gottes. Denn Einheit ist das große Ziel Gottes für die ganze Menschheit und die ganze Schöpfung. Einheit ist – wenn man so sagen darf – der Traum Gottes für die Welt. Einheit, das umschreibt die hebräische Bibel mit schalom, universales Reich des Friedens in uns, um uns und in der Natur. Jesus spricht vom Kommen des Reiches Gottes. Gemeint ist die Hoffnung, dass Gott am Ende alles versöhnen und alles vereinen will, um alles in allem zu sein (1 Kor 15,28) und dass er alles unter einem Haupt, Jesus Christus, zusammenfassen will (Eph 1,10).
Einheit ist eine Grundkategorie der Bibel. Sie spricht vom einen Gott, der die eine Menschheit geschaffen hat und den einen Erlöser gesandt hat. Jesus will als Werkzeug der einen Menschheit die eine Kirche, wie wir sie im gemeinsamen Credo bekennen. Credo unam sanctam ecclesiam.
In diesem großen Zusammenhang müssen wir die Worte verstehen, die Jesus am Abend vor seinem Leiden und Sterben im Abendmahlsaal gesprochen hat: Sie sind sein Testament, das er uns hinterlassen hat. Jesus schaut in die Zukunft voraus und weiß, dass es seine Jünger nicht leicht haben; die Versuchung der Welt, die Versuchung zum Streit und zur Spaltung wird über sie kommen. So betete er, „dass alle eins seien“.
Dieses Gebet fasst sein Grundanliegen zusammen. Mir scheint wichtig: Jesus betet um die Einheit. Er befiehlt nicht die Einheit. Er sagt nicht: Strengt euch an! Lasst euch etwas einfallen, organisiert, konferiert, dialogisiert! Er bittet auch nicht uns. Nein, er betet zum Vater. Er allein kann die Einheit schenken. Dieses Gebet Jesu dauert an. Er ist unser Fürsprecher beim Vater bis heute und auch heute. Durch sein Gebet hält er uns zusammen. In seinem Gebet erträgt er auch unsere Zwietracht und Spaltung. Er lässt nicht nach. Jesus hat unendlich Geduld mit uns und mit seiner Kirche.
Ökumene heißt: In das Gebet Jesu einstimmen. Es sich zu Eigen machen, darauf sich einlassen, sich in dieses Gebet hinein nehmen lassen; ecclesia orans, mit ihm um die Einheit betende Kirche sein. Ökumene bedeutet Orantenhaltung.
Natürlich ist das Gebet nur dann echt und authentisch, wenn es zum Tun wird. Man muss die Wahrheit tun. Man muss das Menschen- und Christenmögliche tun. Aber man muss es aus der Haltung des Gebets heraus tun. Ohne Gewalt, ohne Druck, auch ohne moralischen Druck auf andere auszuüben. Zur Ökumene gehört auch, dass wir an der unendlichen Geduld Jesu teilnehmen. Geduld kommt von Dulden und Erdulden; in dem lateinischen patientia steckt pati, leiden; das griechische Wort für Geduld heißt hypomonè, was so viel bedeutet wie darunter bleiben, aushalten unter der Last. Auch das gehört in der Nachfolge des geduldigen Jesus zur Ökumene.
In diesem umfassenden Sinn ist Ökumene im Geist Jesu geistliche Ökumene.

II.

Werfen wir von dieser Betrachtung aus ganz kurz einen Blick auf die Geschichte, dann müssen wir bekennen, dass die Kirche – alle Kirchen – sehr oft kein Leuchtzeichen der Hoffnung waren, sondern dem Auftrag Jesu untreu geworden sind. Es gab, wie die Briefe des Apostels Paulus, besonders der erste Korintherbrief, bezeugen, von allem Anfang an Trennungen und Spaltungen in der Kirche. Paulus hat sie nicht verharmlost, wie das heute manchmal geschieht. Er hat nicht gesagt: Gut so, Vielfalt tut gut, Vielfalt ist Reichtum, oder noch primitiver: Konkurrenz belebt das Geschäft. Für Paulus waren die Spaltungen Antizeichen zum Reich Gottes, Zeichen eschatologischen Gerichts. Wir müssen über unsere Spaltungen beim letzten Gericht Rechenschaft geben. Das wird für uns alle eine ernste Sache sein!
Aber nicht nur dies. Beschämend sind nicht nur die Spaltungen, sondern auch, wie wir mit den Spaltungen oft umgegangen sind. Kontroverse ist an sich nicht schlimm, wenn es wirklich um einen Streit um die Wahrheit geht. Das muss sein. Aber es war oft Polemik, gegenseitige Herabsetzung und Verleumdung bis hin zu blutigen kriegerischen Auseinandersetzungen. Den betenden Jesus hat man dabei allzu sehr etwas aus dem Blick verloren.
Es wäre freilich ungerecht, wenn wir nur diese unschöne Seite der Kirchengeschichte sehen würden. Es gibt auch die andere, die Heiligengeschichte. Ich möchte mich der gebotenen Kürze wegen hier auf das Entstehen der ökumenischen Bewegung im modernen Sinn beschränken. Die ökumenische Bewegung ist für mich ein Leuchtzeichen des Reiches Gottes in dem sonst dunklen und finsteren 20. Jahrhundert. Sie ist nach dem II. Vatikanischen Konzil ein Impuls des Hl. Geistes.
Man sagt gewöhnlich, die Ökumene habe vor 100 Jahren mit der Weltmissionskonferenz in Edinburgh begonnen. An dieser Feststellung ist viel Wahres; aber es ist nur die halbe Wahrheit. Der Moderator in Edinburgh, John Mott, sagte nachher: Das Wesentliche sei nicht gewesen, was im Konferenzsaal geschehen sei, sondern was sich außerhalb des Konferenzsaals abgespielt hat. Dort haben sich Gebetsgruppen versammelt und gebetet.
Solche Gruppen hatten sich spontan seit dem Ende 18. Jahrhunderts in vielen Teilen der Welt und in unterschiedlichen Kirchen völlig unabhängig voneinander gebildet, um für die Einheit zu beten. Freikirchen, Erweckungsbewegungen, die Evangelische Allianz, der CVJM, und die Frauen (Weltgebetstag der Frauen ab 1897) u.a. spielten eine wichtige Rolle. Es gab auch katholische Gruppen, man denke etwa an den hl. Vinzenz Pallotti, der in Rom solche Gebetsveranstaltungen organisierte. Das greifbarste Ergebnis war die Gebetswoche für die Einheit der Christen, die auf die Initiative des zunächst anglikanischen Paul Wattson zusammen mit Spencer Jones zurückging. Die Päpste haben sich schon früh für diese Gebetswoche ausgesprochen, Papst Leo XIII. schon 1895.
Das II. Vatikanische Konzil, mit dem die katholische Kirche der ökumenischen Bewegung offiziell beigetreten ist, hat die geistliche Ökumene als Herz des Ökumenismus bezeichnet. Die Gebetswoche für die Einheit, die heute international ökumenisch vorbereitet wird, ist für und im Einheitsrat im Laufe des Kirchenjahrs Mitte und Höhepunkt unserer ökumenischen Bemühungen. Der Abschluss wird jedes Jahr unter Vorsitz des Papstes in St. Paul vor den Mauern gefeiert.
Zusammenfassend: Die ökumenische Bewegung ist in dem sonst dunklen 20. Jahrhundert, das zwei Weltkriege und zwei totalitäre Systeme erlebt hat, ein Leuchtzeichen, das aus der Ökumene des Gebets herausgewachsen ist. Die ökumenische Bewegung kann nur Bestand haben, wenn sie auch in Zukunft geistlich durchseelt ist und sich geistlich erneuert.

III.

Die ökumenische Bewegung im modernen Sinn des 20. Jahrhunderts, die in Edinburgh begonnen hat, war in gewissem Sinn etwas Neues. Sie hat das ökumenische Anliegen institutionalisiert und organisiert: Zuerst in den Kommissionen von „Faith and Order“ und „Life and Work“, dann im Weltrat der Kirchen, im Einheitsrat in Rom, in den ökumenischen Kommissionen und Büros, der ACK usw.
Institution und Organisation sind in dieser Welt etwas Notwendiges und sie können hilfreich sein; wir alle sind im bürgerlichen wie im kirchlichen Leben auf funktionierende Institutionen angewiesen. Aber Institutionen und Organisationen haben auch etwas Gefährliches und Verführerisches an sich. Aus dem guten Zweck kann ein Selbstzweck werden; Ökumene geschieht dann nicht mehr geistlich, sondern nach der Logik von Institution und Organisation, von Aktionen und Events. Ökumene wird dann gemacht und ins Werk gesetzt. Es werden dann ökumenische Pläne und Ziele aufgestellt und die Enttäuschung ist groß, wenn die selbst aufgestellten Ziele nicht erreicht werden. Man macht sich dann gegenseitig Vorwürfe und schiebt einander den schwarzen Peter zu. Wir erleben das gegenwärtig leider zur Genüge.
Lassen wir uns dadurch nicht die Freude verderben. Diese institutionelle Ökumene hat viel erreicht. Das ergibt sich allein schon im Blick auf die Dokumente; die Einigung in den fundamentalen Fragen der Rechtfertigungslehre ist nur ein, vielleicht das prominenteste Beispiel. Wir konnten auch sonst reiche Früchte ernten. Die bilateralen ökumenischen Dokumente allein auf internationalen Ebene von 1931 bis 2001 („Dokumente wachsender Übereinstimmung“) umfassen drei dicke Bände mit insgesamt mehr als 2300 Seiten.
Die Dokumente sind aber nur die eine Seite. Viel wichtiger sind die menschlichen und christlichen Beziehungen, welche wir aufbauen konnten. Ich bin inzwischen alt genug, um mich erinnern zu können, wie es vor 50-60 Jahren war. Als Bub habe ich keine evangelische Kirche zu betreten gewagt; ich meinte: Das musst du nachher beichten. Heute feiere ich mit evangelischen Bischöfen dort gemeinsam Gottesdienst. Es ist meiner Einschätzung nach gar nicht genug gewürdigt worden, was es bedeutete, dass der Papst in Erfurt in dem Kloster, in dem Martin Luther lebte, mit den offiziellen Vertretern der evangelischen Kirche einen Wortgottesdienst gefeiert hat, der nach evangelischem Verständnis doch ein vollgültiger Gottesdienst ist. Das war – unabhängig von dem, was gesagt oder auch nicht gesagt wurde – ein historisches ökumenisches Ereignis, das vor wenigen Jahrzehnten noch völlig undenkbar gewesen wäre.
Hinter all dies wird kein vernünftiger Mensch und kein verantwortlicher Christ zurückgehen wollen. Wir können nur dankbar dafür sein, dass uns das alles geschenkt worden ist. Die Ökumene ist ein Impuls des Hl. Geistes, und was wir erreicht haben, ist ein Geschenk des Hl. Geistes. Wir sollten über dem Klagen über das, was noch fehlt, nicht das Danken vergessen.
Aber wir müssen realistisch und ehrlich sein, es gibt auch die andere Seite. Die institutionelle Ökumene des 20. Jahrhunderts ist inzwischen an eine Grenze gestoßen und in eine Krise geraten. Wir machen zwar mit der institutionellen korporativen Ökumene weiter, aber wir kommen nicht recht weiter, und es sind – wenn kein Wunder geschieht, was für einen Christen immer möglich ist – in der mir absehbaren Zeit auch keine großen Sprünge zu erwarten. Das nervt und enttäuscht viele. Ich kann das verstehen.
Die Gründe sind vielfältig. Die Kirchen sind im Augenblick viel zu sehr mit sich selbst und ihren eigenen, wahrhaft nicht leichten Problemen beschäftigt. Sie sind um ihre Identität, ihr Profil und angesichts des rasanten gesellschaftlichen Wandels um ihre künftigen Strukturen besorgt. Ökumene ist da zwar in Sonntagsreden, aber nicht im Arbeitsalltag ein vordingliches Anliegen.
Dazu kommt: Der Papst hat in Erfurt vom Säkularisierungsdruck gesprochen, unter dem wir – alle großen und kleinen Kirchen – stehen und dem wir nicht nachgeben dürfen. Wir dürfen das, was wir gemeinsam haben, unter dem Säkularisierungsdruck nicht aufs Spiel setzen: Den Glauben an den dreifaltigen Gott, den Gottessohn Jesus Christus, das stellvertretende Erlösungswerk Christi, die leibhaftige Auferstehung Christi, die wirkliche Gegenwart Christi in der Eucharistie bzw. im Abendmahl. Dazu kommt der Säkularisierungsdruck in den ethischen Fragen, wo es um die Würde des Menschen vom Anfang des Lebens bis zum natürlichen Tod geht. Wir alle wissen aber, wie es in allen diesen Fragen in unseren Kirchen aussieht, nämlich sehr oft sehr, sehr traurig. Das hat hemmende und bremsende Rückwirkungen auf die Ökumene.
Dabei habe ich den wichtigsten Grund für das Stocken noch gar nicht genannt: Wir entdecken immer mehr, dass wir ein unterschiedliches Verständnis von der Kirche und deshalb auch ein unterschiedliches Verständnis von der Einheit der Kirche haben. Deshalb gehen wir in der Ökumene von unterschiedlichen Zielvorstellungen aus. Wir verstehen die Formel von der „Einheit in der Vielfalt“ bzw. von der „Versöhnten Verschiedenheit“ in deutlich unterschiedlicher Weise. Deshalb stellen wir von unseren jeweiligen Voraussetzungen aus verschiedene Zumutungen aneinander und reiben uns damit aneinander; sehr oft ärgern wir uns auch übereinander. Das geschieht vor allem in der Frage der gemeinsamen Kommunion. Sie gehört – sieht man von begründeten Einzelsituationen ab – hinein in die offenen Fragen des Kirchenverständnisses. Hier einfach bekannte Forderungen wiederholen führt nicht weiter, sondern führt im Gegenteil nur dazu, dass wir uns voneinander weg bewegen, und das geschieht gegenwärtig – leider.
Ich fasse zusammen: Zu dem meist vergessenen Dank über das viele glücklich Erreichte kommt gegenwärtig eine Verlegenheit und eine Ratlosigkeit darüber, wie es weitergehen soll. Die Ökumene des 20. Jahrhunderts hat uns reich beschenkt; wir wollen nicht dahinter zurück. Die Ökumene des noch jungen 21. Jahrhunderts aber muss erst noch Tritt fassen und ihren Weg finden.

IV.

Wie kann es weitergehen? Natürlich habe ich kein Programm für die weitergehende Ökumene. Niemand hat es, und denen, die meinen, es zu haben, misstraue ich am meisten. Wenn die Ökumene ein geistliches Geschehen ist, dann kann man sie nicht in der Weise programmieren, wie eine Firma die Erweiterung ihrer Produktion in den nächsten Jahren plant. Auch sie fallen – wie wir gegenwärtig erleben – damit immer wieder auf die Nase. Ein paar Schwerpunkte für die Ökumene der vor uns liegenden Jahre meine ich dennoch nennen zu können. Meinetwegen können sie diese auch Leuchtzeichen nennen.
Das erste Leuchtzeichen: Die geistliche Ökumene. Sie ist der wichtige Beitrag der geistlichen Gemeinschaften. Solche geistliche Gemeinschaften sind für mich ein Leuchtzeichen des Reiches Gottes. Geistliche Gemeinschaften, das sind ja Gemeinschaften von Christen, die ganz für das Reich Gottes leben, ja, die das Reich Gottes unter den Bedingungen der gegenwärtigen Welt leben. Es ist für mich eines der positivsten Zeichen des Wachsens des Reiches Gottes, dass sie gegenwärtig in der evangelischen Schwesterkirche wieder kräftig wachsen, und nichts ist selbstverständlicher, als dass sie sich mit ähnlichen Gemeinschaften und Orden in der katholischen Kirche verwandt wissen und sich darum auch ökumenisch zusammentun.
Diese geistliche Zusammenarbeit ist für mich eines der positivsten Zeichen der Ökumene in der Gegenwart. Es sind kleine Gruppen. Aber alles Leben fängt klein an und Jesus vergleicht das Reich Gottes nicht umsonst mit einem winzig kleinen Senfkorn, das zu einem großen Baum wird, und mit ein bisschen Sauerteig, der einen ganz Trog Mehl durchsäuert. In der Kirchengeschichte hing die Erneuerung nie von Massenveranstaltungen, sondern immer von kleinen aber engagierten Gruppen aus. So hat auch die Ökumene vor uns während des Zweiten Weltkriegs in kleinen Gruppen begonnen. Wichtige Wegbereiter waren übrigens Märtyrer, also Christen, die menschlich gesehen unterlegen, ja gescheitert sind: Dietrich Bonhoeffer, Josef Metzger, die vier Lübecker Märtyrer u.a. Also: „Fürchte dich nicht, du kleine Herde!“
Ein zweites Leuchtzeichen möchte ich als fundamentale Ökumene bezeichnen. Es scheint mir gegenwärtig vordringlich zu sein, dass wir die Gemeinsamkeiten, sowohl die, welche die wir ererbt, wie die, welche wir dazu gewonnen haben, sichern. Dazu gehört an erster Stelle die Bibel, konkret das Bibellesen und das Bibelteilen, was man in der mönchischen Tradition die lectio divina nennt. An zweiter Stelle gehören dazu die Kirchenväter. Martin Luther selbst hat sie, besonders Augustinus, hoch geschätzt. In diesen Zusammenhang gehört die altkirchliche Bekenntnistradition und an die altkirchliche Grundgestalt der Liturgie. Sie ist gemeinsames Erbe, das wir aber gegenwärtig manchmal verkennen und unverantwortlich verschleudern oder in meist oberflächlicher Weise meinen, modernisieren zu müssen.
Wir sagen oft: Was uns verbindet ist mehr, als was uns trennt. Das ist gewiss wahr. Aber die uns über alle Brüche hinweg verbindende Tradition ist nicht etwas, was man selbstverständlich besitzt; man muss sie bewusst machen, muss sie bewusst erhalten und pflegen und man muss sie bewusst leben. Da sieht es – ich wiederhole mich – leider nicht gut aus. Wir müssen die gemeinsame Tradition angesichts vieler Verflachungs- und Verdünnungstendenzen in unseren Kirchen heute gemeinsam hochhalten. Damit könnten wir ein Leuchtfeuer anstecken, das der Kirche wieder mehr Profil geben könnte.
Deshalb habe ich zum Schluss meines Dienstes im Einheitsrat als nächstes Thema unserer Dialoge die Taufe vorgeschlagen. Sie ist unsere gemeinsame Basis; zur Taufe gehört das Taufbekenntnis. Die drei Fragen bei der Taufe entsprechen ja dem Apostolischen Glaubensbekenntnis, und zur Taufe gehört die Absage an die Welt, also die Grundlagen des christlichen Lebens und christlicher Spiritualität, modern ausgedrückt der christlichen Ethik, die nicht in der Anpassung an die Welt, sondern auch in der Abgrenzung zur Welt besteht.
Schließlich noch ein drittes Leuchtzeichen. Das christliche Hauptgebot und die Summe christlichen Lebens ist die Liebe. Wo Liebe geschieht, da bricht das Reich Gottes in diese Welt herein. Was die Welt heute vor allem braucht ist das wärmende Feuer der Liebe und etwas Orientierung gebendes Lichtfeuer. Das könnte die Kirche auch schon heute geben. Ich spreche vom gemeinsamen Zeugnis im Wort und vor allem in der Tat. Alle die Unterschiede, die leider noch da sind und die wir weder schönreden noch überspringen können und dürfen, hindern uns nicht daran, noch viel mehr zusammenzuarbeiten. Vermutlich werden schrumpfende Finanzen uns dazu auch bald zwingen. Wir sollten uns freilich nicht zwingen lassen, wir sollten von uns und aus eigenem Antrieb noch viel mehr aufeinander zugehen und karitativ, diakonisch, sozial und in der Katastrophen- und Entwicklungshilfe gemeinsam agieren. Das ist ein weites Feld, das ich nur kurz nennen kann, aber es ist ein wichtiges Feld, wo noch viel mehr Gemeinsamkeit möglich wäre als Gott sei Dank schon jetzt besteht.
Ich komme zum Schluss der Überlegungen zu „Ökumene – Leuchtzeichen des Reiches Gottes“ nochmals zurück auf das eingangs Gesagte: Jesu Gebet um die Einheit seiner Jünger. Ökumene ist nicht unser, nicht ein menschliches oder kirchliches Projekt, keine Kirchenpolitik oder -strategie. Sie ist verbindlicher Auftrag, ja Testament Jesu. Es ist Jesus selbst, der darum betet und für bittend dafür eintritt. Er ist das Reich Gottes in Person. Nur Indem wir ihm nahe kommen, können auch wir zu Zeichen des Reiches Gottes werden. In dem Maße, in dem wir eins mit ihm sind, werden wir es auch untereinander. Allein dies kann das Programm der Ökumene sein. Ein anderes ist nicht möglich.
Ich danke für Ihre Geduld und Ihre Aufmerksamkeit.

Kardinal Walter Kasper, Rom.