Einführung zur Feier „10 Jahre Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“

30. Oktober 2009 in Augsburg

Kardinal Walter Kasper, Rom

Hochwürdigster Herr Bischof, Verehrter Herr Landesbischof, Herr Oberbürgermeister, hochansehliche Festversammlung, meine Damen und Herren!

10 Jahre Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre - für die Kirchengeschichte, die gewohnt ist in Jahrhunderten zu denken, eine sehr kurze und nicht unbedingt jubiläumswürdige Zeitspanne. Doch Ihr Interesse, meine sehr verehrten Damen und Herren, und die Anwesenheit so vieler herausragender Vertreter der Kirchen, des öffentlichen Lebens, der theologischen Wissenschaft und der Kultur, die ich alle sehr herzlich begrüße, zeigt, dass der Lutherische Weltbund und der Päpstliche Einheitsrat mit der Einladung zu dieser Jubiläumsveranstaltung Thema neu zur Diskussion stellten das vielen Menschen auf den Nägeln und im Herzen brennt.

Mein Dank gilt in besonderer Weise, Ihnen Herr Oberbürgermeister Dr. Gribl, nicht nur dafür, dass sie uns zusammen mit Ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen vom ersten Augenblick an tatkräftig unterstützt und uns in diesen geschichtsträchtigen Goldenen Saal eingeladen haben, sondern auch für Ihre freundlichen Worte der Begrüßung. Zu Recht haben Sie Augsburg als Stadt des Friedens zwischen den Kirchen und in unserem Land herausgestellt.

Ich danke in der Person von Herrn Bischof Dr. Walter Mixa und Herrn Landesbischof Johannes Friedrich den beiden Ortskirchen dafür, dass sie diese Veranstaltung materiell wie vor allem geistlich unterstützt haben. Beider Begrüßungsworte sind eine klare Antwort auf manche Fragen und Zweifel, ob die Kirchen es denn noch immer wirklich ernst meinen mit der ökumenischen Annäherung, die auf eine volle Kirchengemeinschaft am einen Tisch des Herrn ausgerichtet ist. Ja, sie meinen es ernst, und es gibt in der Tat keine vernünftige und keine verantwortliche Alternative zur Ökumene.

Mit der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre haben wir 10 Jahren Lutheraner und Katholiken einen wichtigen Schritt zueinander getan. Diese Erklärung war nicht das Werk einiger ökumenischer Enthusiasten, sie war die reife Frucht eines international geführten theologischen Dialogs von mehr als einem halben Jahrhundert, eines Dialogs, der getragen war von Millionen Menschen in allen Kirchen. Aufgrund der schrecklichen Erfahrungen des zweiten Weltkriegs wie aufgrund der Bedrohung durch zwei menschenverachtende Systeme waren sie zu der Überzeugung gekommen, dass die Christen heute nicht mehr gegeneinander, auch nicht unbeteiligt nebeneinander stehen können sondern dass sie zusammenstehen müssen um solche Katastrophen in Zukunft zu verhindern. Diese Erklärung ist darum ein wichtiges Zeitzeugnis und ein Meilenstein der Kirchengeschichte.

Natürlich hat die Erklärung wie alles, was Menschen tun, ihre Schwächen. Sie war eine Gemeinsame Erklärung zu Grundfragen der Rechtfertigungslehre und war mit den damit offen geblieben Fragen und Desideraten zugleich ein Ansporn zum Weiterdenken.

Dabei ist in den letzten 10 Jahren international viel mehr Positives geschehen, als gemeinhin bekannt ist. Ich kann in diesem Zusammenhang nicht die vielen Veröffentlichungen und Symposien, die offiziellen und nichtoffiziellen Tagungen und Erklärungen auch zu den Fragen der Kirche und ihrer Ämter, zur Eucharistie- bzw. Abendmahlslehre und der immer wieder für Irritationen sorgenden Ablasspraxis nennen. Auch ich hätte mir oft gerne mehr und manches schneller gewünscht. Auch in mir sind Ungeduld und die notwendige Geduld immer wieder in einer inneren Spannung. Aber es ist eine von Ignoranz zeugende schwarze Legende zu sagen, es sei in der Ökumene zu einem Stillstand gekommen oder es sei gar eine ökumenische Eiszeit über uns gekommen.

Ich nenne hier nur die Zustimmung des Methodistischen Weltrates 2006 in Seoul/Südkorea, das sind in 132 Ländern weltweit 75 Millionen Christen. Ich nenne weiter die Tatsache, dass sich unmittelbar nach der Gemeinsamen Erklärung Vertreter der katholischer und evangelischer geistlicher Gemeinschaften und Bewegungen in Ottmaring bei Augsburg getroffen und beschlossen haben, den Prozess weiterzutragen; sie haben 2004 und 2007 in Stuttgart unter dem Thema „Gemeinsam für Europa“ zwei Großveranstaltungen mit 8.000 und 10.000 Teilnehmern auf die Beine gebracht; diese Bewegung geht seither europaweit in vielen regionalen Treffen weiter. Ich nenne schließlich die gemeinsame Anerkennung der Taufe in Magdeburg 2007; sie wäre ohne die Gemeinsame Erklärung nicht möglich gewesen. Sage also niemand, die Gemeinsame Erklärung habe die Basis nicht erreicht oder sie sei kein Ansporn zum Handeln geworden.

Der Päpstliche Einheitsrat hat in den beiden letzten Jahren in intensiver Arbeit die Ergebnisse der weltweiten bilateralen Dialoge der letzten 40 Jahre mit den wichtigsten protestantischen Kirchen zusammengetragen; das inzwischen auf englisch erschienene Buch trägt den Titel „Harvesting the Fruits“ (Die Früchte ernten) (London 2009); es wird hoffentlich bald auch in deutscher Übersetzung vorliegen. Es war eine reiche Ernte. Ich selbst und meine Mitarbeiter waren erstaunt, festzustellen wie viel wir erreicht haben, weit mehr als erwartet.

Wahr ist aber ebenso: Wir haben nicht alles erreicht. Es gab auch Fehler, Versäumnisse und unnötige Irritationen, und dies auf allen Seiten. Eine vermutlich nicht einfache Wegstecke liegt noch vor uns. Mit dem Blick zurück werden die drei Vorträge, die wir hören werden, darum zugleich den Blick nach vorne richten. Es wird je ein Vertreter der drei an der Erklärung beteiligten Kirchen, jeder bewusst aus einer anderen sachlichen Perspektive sprechen.

Heute Abend wird Professor Dr. Eberhard Jüngel als hoch angesehener Vertreter der evangelischen Theologie zu uns sprechen und das wohl schwierigste Thema anpacken, nämlich die Frage, was die Botschaft von der Rechtfertigung uns heute zu sagen hat. Er wird den Bogen vom 16. Jahrhundert in unser 21. Jahrhundert zu schlagen versuchen.

Morgen wird Bischof Dr. Walter Klaiber, lange Jahre Professor für Bibelwissenschaft und dann angesehener Bischof in der evangelisch methodistischen Kirche in Deutschland über die Vertiefung der biblischen Grundlagen zu uns sprechen. Bischof Klaiber ist Mitglied der Working Group of Biblical Schollars, die sich auf internationalen Symposien in St. Paul vor den Mauern in Rom eben dieser Frage widmet.

Schließlich wird Kardinal Karl Lehman, allseits bekannter und hoch geschätzter katholischer Theologe und langjähriger Vorsitzender der deutschen Bischofskonferenz, über die Rezeption der Rechtfertigungserklärung in der katholischen Theologie und Kirche sprechen und zeigen, dass sich auch da weit mehr getan hat als gemeinhin bewusst ist.

Unsere Tagung wäre freilich keine wirklich ökumenische Veranstaltung, wenn wir nur Vorträge anhören und nicht auch gemeinsam beten würden. Ökumene kann man nicht „machen“, sie muss uns vom Geist Gottes geschenkt werden. Der Höhepunkt wird darum morgen Nachmittag ein abschließender gemeinsamer Vespergottesdienst im Hohen Dom „Unserer Lieben Frau“ sein. Im Anschluss daran, werden die Veranstalter begleitet von den Vertretern der Ortskirchen nach Wittenberg fahren um im Rahmen der Lutherdekade zur Vorbereitung auf die 500 Jahre seit den Anlass-Thesen Martin Luthers als symbolischen Akt den ersten Baum in dem dort neu angelegten Luthergarten zu pflanzen. Möge er viele Früchte tragen.

Damit wir bei diesem straffen Programm nicht ermatten, uns vielmehr der geschenkten neuen Gemeinsamkeit auch erfahrbar erfreuen können, sind wir im Anschluss an diese Veranstaltung dankenswerter Weise zu einem musikalisch umrahmten Empfang der Stadt Augsburg eingeladen.

Meine Damen und Herren, wir haben uns vor 10 Jahren hier in Augsburg die Hand gereicht. Jetzt nach 10 Jahren sagen wir: Wir lassen uns nicht mehr los. Wir dürfen die Erwartung der großen, ja übergroßen Mehrheit der Christen in allen Kirchen nicht enttäuschen. Sagen wir ihnen heute und morgen erneut von der Friedenstadt Augsburg aus: Ökumene tritt nicht auf der Stelle, Ökumene geht weiter.