Informationen und Reflexionen zur aktuellen ökumenischen Situation

Konsistorium am 23. November 2007.


Informationen und Reflexionen zu der aktuellen ökumenischen Situation lassen sich in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nur gleichsam im Stakkato und notwendigerweise unvollständig und verallgemeinernd vortragen. Trotzdem hoffe ich, dass in der Darstellung der gegenwärtigen ökumenischen Situation etwas vom Plan der göttlichen Vorsehung aufleuchtet, die zersplitterte Christenheit zur Einheit zusammenzuführen und sie so zu einem deutlicheren Zeichen in der Welt zu machen.

I.

Lassen Sie mich mit einer grundsätzlichen Vorbemerkung beginnen. Was wir – im Unterschied zum interreligiösen Dialog – als Ökumene bezeichnen, ist letztlich in dem Testament begründet, das Jesu uns am Abend vor seinem Tod hinterlassen hat: „Ut unum sint“ (Joh 17,21). Das II. Vatikanische Konzil hat die Förderung der Einheit der Christen als einen Impuls des Hl. Geistes (UR 1; 4) und als eines seiner Hauptanliegen (UR 1) bezeichnet. Papst Johannes Paul II. hat diese Entscheidung unumkehrbar genannt (UUS 3). Papst Benedikt XVI. hat bereits am ersten Tag seines Pontifikates seine Absicht bekundet, mit allen Kräften an der Wiederherstellung der vollen und sichtbaren Einheit aller Jünger Christi zu arbeiten und hinzugefügt, dazu seien nicht nur Worte, sondern konkrete, zu Herzen gehende Zeichen notwendig (Ansprache an die Kardinäle am 20. April 2005). Ökumene ist darum keine Option, sie ist eine heilige Pflicht.

Selbstverständlich geht es nicht um eine Ökumene auf der Grundlage eines wohlmeinenden Humanismus oder eines ekklesiologischen Relativismus, sondern um eine Ökumene, die vom Selbstverständnis der katholischen Kirche ausgeht, um eine Ökumene entsprechend katholischer Prinzipien (UR 2-4), um eine Ökumene in der Wahrheit und in der Liebe. Beide sind untrennbar miteinander verknüpft und können sich nicht gegenseitig ersetzen. Es gilt vor allem auf den Dialog in der Wahrheit zu achten. Die maßgebenden konkreten Normen sind im „Ökumenischen Direktorium“ (1993) verbindlich niedergelegt.

Das wichtigste Ergebnis und das Erfreuliche an der Ökumene der letzten Jahrzehnte sind nicht die ökumenischen Dokumente, sondern die wiederentdeckte Brüderlichkeit, die Tatsache, dass wir uns als Brüder und Schwestern in Christus wiederentdeckt, uns schätzen gelernt und uns gemeinsam auf den Weg zur vollen Einheit gemacht haben (UUS 42). Auf diesem Weg ist die Cathedra Petri im Laufe der letzten 40 Jahre immer mehr zu einem Bezugspunkt aller Kirchen und Kirchengemeinschaften geworden. Wenn der ursprüngliche Enthusiasmus inzwischen einer größeren Nüchternheit gewichen ist, dann ist das auch ein Zeichen dafür, dass die Ökumene reifer und erwachsener, dass sie weithin selbstverständlich geworden ist und als Normalität im Leben der Kirche empfunden wird. Das alles kann man nur mit Dankbarkeit gegenüber der Führung der Kirche durch den Geist Gottes zur Kenntnis nehmen.

Im einzelnen muss man drei Bereiche der Ökumene unterscheiden: Die Ökumene mit den alt-orientalischen und mit den orthodoxen Kirchen des ersten Jahrtausends, die wir als Kirchen anerkennen, weil sie mit uns in ihrem Kirchesein den apostolischen Glauben und die apostolische Sukzession bewahrt haben. Daneben die Ökumene mit den Kirchengemeinschaften, die direkt oder wie die Freikirchen indirekt aus der Reformation des 16. Jahrhunderts hervorgegangen sind. Sie haben im Rückgriff auf die Hl. Schrift ihr eigenes kirchliches Selbstverständnis entwickelt. Schließlich kennt die jüngere Christentumsgeschichte eine so genannte dritte Welle, die charismatischen und pentekostalen Bewegungen, welche zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufgebrochen sind und die sich seither weltweit in rasantem Wachstum befinden. Wir haben es in der Ökumene also mit einem vielfältigen und differenzierten Phänomen zu tun, das sich in ded verschiedenen kulturkreisen und Ortskirchen sehr unterschiedlich darstellt.

II.

Beginnen wir mit der Ökumene mit den Kirchen des ersten Jahrtausends. Im Dialog mit den prae-chalcedonensischen orientalischen Kirchen konnten wir bereits im ersten Jahrzehnt zwischen 1980 und 1990 bedeutende Fortschritte erzielen. Durch Vereinbarungen zwischen Papst Paul VI. und Papst Johannes Paul II. mit den jeweiligen Patriarchen gelang es, die über 1500 Jahre alte christologische Auseinandersetzung um das Konzil von Chalkedon (451) bzw. bei der Assyrischen Kirche des Ostens um das Konzil von Ephesus (381) zu überwinden.

In der zweiten Phase hat sich der Dialog der Ekklesiologie, näherhin der Frage nach dem Verständnis und den Kriterien kirchlicher communio zugewandt. Das nächste Treffen ist vom 27. Januar bis 2. Februar 2008 in Damaskus geplant. Es wird dort ein erster Entwurf zu einem Dokument „Natur, Konstitution und Mission der Kirche“ zur Diskussion stehen. Durch diesen Dialog kommen Kirchen von ältester, teilweise apostolischer Tradition, die eineinhalb Jahrtausende am Rand lebten, wieder in Kontakt mit der universalen Kirche. Dass dies nur langsam und Schritt für Schritt geschieht, ist angesichts der langen Trennung und der großen Mentalitätsunterschiede nicht anders zu erwaten.

Der Dialog mit den orthodoxen Kirchen byzantinischer, syrischer und slawischer Tradition wurde offiziell 1980 auf den Weg gebracht. Mit diesen Kirchen haben wir die Dogmen des ersten Jahrtausends, die Eucharistie und die übrigen Sakramente, die Verehrung der Gottesmutter Maria und der Heiligen wie die episkopale Verfassung der Kirche gemeinsam. Wir bezeichnen sie wie die altorientalischen Kirchen als Schwesterkirchen der katholischen Ortskirchen. Unterschiede hat es schon im ersten Jahrtausend gegeben. Sie sind damals aber nicht als kirchentrennend empfunden worden. Die Trennung hat sich in einem langen Prozess der Entfremdung, oder wie das Konzil sagte, durch einen Mangel an Verständnis und Liebe füreinander (UR 14), vollzogen. Entsprechend kann es heute nur um einen umgekehrten Prozess der schrittweisen Wiederversöhnung gehen.

Erste wichtige Schritte geschahen bereits während des Konzils. Zu erinnern ist an die Begegnung und an den Briefwechsel zwischen Papst Paul VI. und dem ökumenischen Patriarchen Athenagoras, an den „Tomos agapis“ und an die Tilgung der Bannsprüche von 1054 aus dem Bewusstsein der Kirche am vorletzten Tag des Konzils. Auf dieser Grundlage konnten eine Reihe von Formen kirchlicher communio aus dem ersten Jahrtausend wieder aufgenommen werden: gegenseitige Besuche, regelmäßiger Austausch von Botschaften und Briefen zwischen dem Papst und den Patriarchen, insbesondere mit dem ökumenischen Patriarchat, gutes alltägliches Zusammenleben und Zusammenwirken in vielen Ortskirchen. Die katholische Kirche stellt den orthodoxen Christen, die bei uns in der Diaspora leben, als Zeichen der Gastfreundschaft und der Gemeinschaft oft Kirchen zum liturgischen Gebrauch zur Verfügung. Beim Angelus am Fest Peter und Paul 2007 konnte Papst Benedikt XVI. sagen, dass wir mit diesen Kirchen schon jetzt in einer fast vollen Kirchengemeinschaft stehen.

Im ersten Jahrzehnt des Dialogs von 1980-1990 konnten die grundlegenden Gemeinsamkeiten im Verständnis der Sakramente, besonders der Eucharistie, wie im Bischofs- und Priesteramt bekräftigt werden. Die politische Wende von 1989/90 machte den Dialog jedoch nicht etwa leichter, sondern schwieriger. Die Rückkehr der orientalisch-katholischen Kirchen ins öffentliche Leben nach einer Zeit brutaler Verfolgung und heldenhaften Märtyrertums ist von den orthodoxen Kirchen als Bedrohung durch einen neuen – wie sie es nennen – Uniatismus verstanden worden. Das führte den Dialog in den 90er Jahren trotz einigen wichtigen Klärungen in Balamand (1993) und in Baltimore (2000) in eine Krise, die sich vor allem im Verhältnis zur russisch-orthodoxen Kirche nach der kanonischen Errichtung von vier Diözesen in Russland (2002) zuspitzte.

Gott sei Dank konnte der Dialog nach vielen geduldigen Bemühungen im vergangenen Jahr in Belgrad und vor etwa einem Monat in Ravenna wieder aufgenommen werden. In Ravenna zeigte sich, dass sich die Atmosphäre, trotz der bedauerlichen, innerorthodox begründeten Abreise der russisch-orthodoxen Delegation, entschieden zum besseren gewandelt hat. Damit hat eine hoffnungsvolle dritte Dialogphase begonnen.

Das Dokument von Ravenna „Kirchliche und kanonische Konsequenzen der sakramentalen Natur der Kirche“ bedeutet einen wichtigen Fortschritt. Erstmals haben die orthodoxen Gesprächsteilnehmer eine universale Ebene der Kirche anerkannt und gleichzeitig anerkannt, dass es auch auf dieser universalen Ebene einen Protos, einen Primas gibt, der nach der altkirchlichen Praxis nur der Bischof von Rom sein kann. Allen Beteiligten ist klar, dass dies nur ein erster Schritt ist und dass es bis zur vollen Kirchengemeinschaft wohl noch ein längerer, nicht einfacher Weg sein wird. Wir haben mit diesem Dokument jedoch eine Grundlage für den weiteren Dialog gelegt. Das Thema der nächsten Vollversammlung wird lauten: „Die Rolle des Bischofs von Rom in der Kirche im ersten Jahrtausend“.

Ein besonderes Wort bedarf das Verhältnis zum Moskauer Patriarchat der russisch-orthodoxen Kirche. Grundsätzlich hat sich das Verhältnis zum Moskauer Patriarchat in den letzten Jahren spürbar entspannt und verbessert. Man kann sagen: Es ist nicht mehr Eiszeit, sondern Eisschmelze. Aus unserer Sicht wäre eine Begegnung zwischen dem Papst und dem Moskauer Patriarchen hilfreich. Das Moskauer Patriarchat hat eine solche Begegnung nie grundsätzlich ausgeschlossen, steht aber auf dem Standpunkt, dass zuvor die aus seiner Sicht bestehenden Probleme in Russland und besonders in der Ukraine gelöst werden. So steht eine solche Begegnung zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht auf der Agenda. Es gibt aber auf anderen Ebenen vielfältige Begegnungen, etwa jüngst der Besuch des Patriarchen Alexij in Paris, der von beiden Seiten als ein wichtiger Schritt betrachtet wird.

Zusammenfassend: Es wird noch viel Reinigung des historischen Gedächtnisses und viel Gebet notwendig sein, um auf der gemeinsamen Basis des ersten Jahrtausends den Riss zwischen Ost und West zu heilen und volle Kirchengemeinschaft wieder herzustellen. Doch bei allen noch vor uns liegenden Schwierigkeiten gibt es gute Gründe für die Hoffnung, dass die Kirche mit Gottes Hilfe und durch das Gebet vieler Gläubigen nach der Trennung im zweiten Jahrtausend im dritten Jahrtausend wieder mit beiden Lungen atmen kann.

III.

Ich möchte nun auf die Ökumene mit den reformatorischen Kirchengemeinschaften zu sprechen kommen. Auch hier gibt es ermutigende Zeichen. Alle Kirchengemeinschaften bekunden den Willen zum Dialog und die katholische Kirche führt den Dialog mit fast allen Kirchengemeinschaften. Es sind Fortschritte im Konsens in Glaubenswahrheiten, besonders in Grundfragen der Rechtfertigungslehre gemacht worden. Vielerorts besteht eine gute praktische Zusammenarbeit in sozialen und gesellschaftlichen Fragen. Es ist Vertrautheit, auch Freundschaft und eine tiefe Sehnsucht nach Einheit gewachsen, die man trotz gelegentlich harscher Töne und trotz mancher herber Enttäuschungen nicht unterschätzen soll. Es ist ein dichtes Netz von persönlichen wie institutionellen Beziehungen entstanden, das gelegentlichen Belastungen standzuhalten vermag.
Es gibt keinen Stillstand, wohl aber einen tiefgreifenden Wandel der ökumenischen Situation. Wie die Welt allgemein und die Situation der Kirche in der Welt, so ist auch die ökumenische Situation im raschen Umbruch begriffen. Ich nenne nur einige Gesichtspunkte:

1. Nach der grundsätzlichen Einigung in der Rechtfertigungslehre stehen nach wie vor nicht gelöste klassische Kontroversthemen zur Diskussion, gegenwärtig vor allem das Thema der Kirche und der kirchlichen Ämter (vgl. UUS 66). Nach den „Fünf Antworten“ der Glaubenskongregation vom Juli dieses Jahres hat dieses Thema für Aufregung und teilweise für Unmut gesorgt. Die meiste Aufregung war unnötig, da die „Antworten“ nichts Neues gesagt, sondern nur die bekannte katholische Lehre zusammengefasst haben. Trotzdem sollte man über die Form, die Sprache und die öffentliche Präsentation solcher Verlautbarungen nochmals nachdenken.

2. Das unterschiedliche Kirchenverständnis hat unterschiedliche Zielbestimmungen der Ökumene zur Folge. So ist es ein Problem, dass wir derzeit keine gemeinsame Vision der anzustrebenden Kircheneinheit haben. Das ist um so schwerwiegender als die Kirchengemeinschaft für uns eine Voraussetzung für die Eucharistiegemeinschaft ist und das Fehlen der Eucharistiegemeinschaft besonders für konfessionsverschiedene Ehen und Familien große pastorale Probleme mit sich bringt.

3. Während wir in alten Kontroversfragen alte Gräben zu überwinden versuchen, werden gegenwärtig in ethischen Fragen neue Gräben aufgeworfen. Das gilt insbesondere vom Schutz des Lebens, von Ehe und Familie und von Fragen der menschlichen Sexualität. Das gemeinsame öffentliche Zeugnis ist dadurch geschwächt oder unmöglich. Die inneren Krisen für die betreffenden Kirchen kann man am deutlichsten in der Anglikanischen Gemeinschaft, aber nicht nur dort sehen.

4. In der protestantischen Theologie gibt es nach der Luther-Renaissance und der Wort-Gottes-Theologie Karl Barths aus den Anfangsjahren des theologischen Dialogs eine Rückkehr zu Anliegen der liberalen Theologie. Die Folge ist oft eine Aufweichung des bisher als gemeinsam vorausgesetzten trinitarischen und christologischen Fundaments. Was wir als gemeinsames Erbe bezeichnen, ist wie die Gletscher in den Alpen da und dort im Abschmelzen begriffen.

Zu den Wandlungen der ökumenischen Situation gehört es freilich auch, dass es zu den genannten Strömungen Gegenbewegungen gibt. Weltweit stellen wir ein Erstarken evangelikaler Gruppierungen fest, die in dogmatischen Grundfragen, vor allem in ethischen Fragen meist auf unserer Seite stehen, aber in ekklesiologischen und sakramententheologischen Fragen, im Schrift- und Traditionsverständnis oft weit von uns entfernt sind. Es gibt hochkirchliche Gruppierungen, die im Gottesdienst und im Verständnis der Ämter bewusst die katholische Tradition im Anglikanismus und im Luthertum zur Geltung bringen wollen. Dazu kommen zunehmend mönchische Gemeinschaften, die oft nach der Regel des hl. Benedikt leben und deshalb eine Nähe zur katholischen Kirche verspüren. Schließlich fühlen sich pietistische Gemeinschaften wegen der Krise in ethischen Fragen oft in den protestantischen Kirchen nicht mehr ganz zu Hause. Sie zeigen sich dankbar für die klaren Stellungnahmen des Papstes, den sie noch vor nicht allzu langer Zeit weniger freundlich apostrophiert haben.

Alle diese Gruppierungen bilden neuerdings zusammen mit katholischen Ordensgemeinschaften und neueren geistlichen Bewegungen „geistliche Netzwerke“, die sich oft um Klöster wie Chevetogne, Bose und ganz besonders Taizé gruppieren oder in den geistlichen Bewegungen wie in der Fokolarbewegung oder in Chemin Neuf angesiedelt sind. Damit kehrt die ökumenische Bewegung zu ihren Ursprüngen in kleinen Gesprächs-, Gebets und Bibelgruppen zurück. Neuerdings melden sich die genannten Gruppierungen auch in Großveranstaltungen der Bewegungen - wie denen in Stuttgart von 2004 und von 2007 - öffentlich zu Wort. So entstehen neben dem schwieriger gewordenen offiziellen Dialogen hoffnungsvolle neue Formen des Dialogs.

Wenn man diese ganze Landschaft überschaut, dann stellt man fest: Es gibt nicht nur eine ökumenische Sammlungsbewegung, es gibt auch neue Fragmentierungen. Es sind auch zentrifugale Kräfte am Werk. Nimmt man außerdem die vielen neu entstandenen und neu entstehenden so genannten unabhängigen Kirchen vor allem in Afrika und viele andere oft sehr aggressive Splittergruppen hinzu, dann stellt man fest, dass die ökumenische Landschaft inzwischen sehr pluralistisch und unübersichtlich geworden ist. Dieser Pluralismus ist ein Spiegelbild der so genannten postmodernen pluralistischen Situation, die oft zu einen religiösen Relativismus führt.

In dieser Situation sind Veranstaltungen wie die Generalversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen im Februar des vergangenen Jahres in Porto Alegre (Brasilien) und das „Global Christian Forum“ sowie die „Europäische ökumenische Versammlung“ in Sibiu/Hermannstadt (Rumänien) im vergangenen September wichtig. Diese Foren wollen die auseinanderstrebenden Gruppierungen im Gespräch miteinander halten und so die ökumenische Bewegung nach Möglichkeit zusammenhalten mit ihren Licht- und Schattenseiten, ihren neuen Herausforderungen in einer veränderten Situation, welche sich noch immer rasch ändert.

IV.

Das Stichwort der Pluralisierung führt mich zur dritten Welle der Christentumsgeschichte, zu den charismatischen und pentekostalen Gemeinschaften. Sie stellen inzwischen mit weltweit etwa 400 Millionen Anhängern die zweitstärkste christliche Großgruppe dar und befinden sich in einem rasanten Wachstum. Untereinander sind sie sehr verschiedenen. Es gibt keine gemeinsame Struktur. Sie verstehen sich als Frucht einer neuen pfingstlichen Ausgießung des Hl. Geists. Entsprechend spielt die Geisttaufe eine entscheidende Rolle. Bereits Papst Johannes Paul II. hat darauf aufmerksam gemacht, dass man dieses Phänomen nicht nur negativ sehen darf. Es drückt sich, bei aller Problematik im einzelnen, darin auch ein Hunger und Durst nach geistlicher Erfahrung aus. Auf der anderen Seite kann man nicht übersehen, dass viele dieser Gemeinschaften zu einer Religion diesseitiger Glücksverheißung geworden sind.

Mit den klassischen Pentekostalen ist ein Dialog möglich; andere stellen wegen ihren aggressiven Missionsmethoden eine ernste Herausforderung dar. Der Päpstliche Einheitsrat hat die Herausforderung aufgegriffen und Seminare für Bischöfe, Theologen und verantwortliche Laien in Lateinamerika (Sao Paolo, Buenos Aires), Afrika (Nairobi, Dakar) und Asien (Seoul, Manila) abgehalten. Sie haben zu dem Ergebnis geführt, das auch in dem Schlussdokument des Lateinamerikanischen Bischofsrates in Aparecida (2007) formuliert ist. Wir müssen eine pastorale Gewissenserforschung anstellen und uns selbstkritisch fragen: Warum verlassen so viele Christen unsere Kirche? Wir sollen also nicht zuerst fragen: Was ist bei den Pentekostalen falsch, sondern: was läuft bei uns pastoral nicht gut? Wie können wir auf die neue Herausforderung durch eine liturgische, katechetische, pastorale und spirituelle Erneuerung reagieren?

V.

Diese Frage führt zu der abschließenden Frage: Wie kann es weitergehen? Eine generelle Antwort auf diese Frage ist nicht möglich. Die Situation in den einzelnen Erdteilen, in den verschiedenen Kulturkreisen und in den einzelnen Ortskirchen ist viel zu verschieden. Hier ist jede Bischofskonferenz selbst in Pflicht genommen.
Grundsätzlich müssen wir weiterhin vom gemeinsamen Glaubenserbe ausgehen und das bisher mit Gottes Hilfe ökumenisch Erreichte festhalten. Von diesem gemeinsamen Glauben können und sollen wir in einer weithin säkularisierten Welt nach Möglichkeit gemeinsam Zeugnis geben. Das heißt in der gegenwärtigen Situation auch: Wir müssen die Grundlagen unseres gemeinsamen Glaubens neu bewusst machen und stärken. Denn ohne den Glauben an den lebendigen dreieinigen Gott, ohne Glaube an die Gottheit Christi, an die Heilsbedeutsamkeit des Kreuzes und die Auferstehung Christi hängt alles andere buchstäblich in der Luft. Wer nichts mehr von der Wirklichkeit der Sünde und der Verstricktheit in die Sünde weiß, dem sagt die Rechtfertigung des Sünders wenig oder nichts.

Nur auf der Grundlage des gemeinsamen Glaubens kann man dann den Dialog über die Unterschiede führen. Das soll mit Klarheit, aber in unpolemischer Weise geschehen. Wir sollen die anderen nicht herabsetzen oder verletzen. Wir sollen nicht den Finger darauf legen, was sie nicht sind und nicht haben, wir sollen vielmehr vom Reichtum und von der Schönheit unseres eigenen Glaubens in einer positiven und einladenden Weise Zeugnis geben. Dasselbe erwarten wir auch von den anderen. Wenn das geschieht, dann kann es zwischen uns und ihnen – wie es in der Enzyklika „Ut unum sint“ heißt – zu einem Austausch nicht nur von Ideen, sondern von Gaben kommen, die uns gegenseitig bereichern (UUS 28; 57). Ökumene ist dann keine Verarmung, sondern eine gegenseitige Bereicherung.

Bei einer solchen Ökumene des geistlichen Austauschs kommt dem theologischen Dialog nach wie vor wesentliche Bedeutung zu. Er kann aber nur dann fruchtbar sein, wenn er getragen ist von einem geistlichen Ökumenismus des Gebets, der Bekehrung des Herzens und der persönlichen Heiligung. Dieser geistliche Ökumenismus ist das Herz der Ökumene (UR 8; UUS 21-27). Ihn gilt es darum in erster Linie zu fördern. Ohne eine Spiritualität der communio, die dem anderen Raum gibt ohne dabei die eigene Identität aufzugeben, verfällt alles andere dem Leerlauf eines seelenlosen Aktionismus.

Wenn wir das Gebet Jesu am Abend vor seinem Tod zu unserem eigenen Gebet machen, dann brauchen wir nicht kleingläubig den Mut verlieren, dann dürfen wir – wie es im Evangelium verheißen ist (Joh 14,13 u.a.) – darauf vertrauen, dass das Gebet im Namen Jesu Erhörung findet. Wann, wo und wie, das liegt nicht in unserer Hand. Wenn wir nur das Unsrige tun, dann können wir das Wann, Wo und Wie getrost dem überlassen, welcher der Herr der Kirche ist, der seine Kirche aus allen vier Winden sammelt. Wir sollen das, was uns ökumenisch geschenkt wurde und was wir bisher erreicht haben dankbar anerkennen und können so mit Hoffnung in die Zukunft gehen. Wenn wir die „Zeichen der Zeit“ auch nur einigermaßen realistisch betrachten, dann gibt es zu einer solchen Ökumene keine realistische und erst recht keine gläubige Alternative.